Während in Wien und demnächst wohl auch in Tirol unter 12-Jährige vorläufig ohne offizielle Zulassung – als sogenanntes „Off-Label“-Produkt – gegen Covid-19 geimpft werden, wartet man im Rest Europas auf das Votum der Zulassungsbehörde EMA. Wie bei der Booster-Impfung sind hierzulande auch in dem Fall alle Augen auf die Ständige Impfkommission (STIKO) gerichtet. Die obersten Gesundheitsbehörden der USA haben schon vor gut zwei Wochen die mRNA-Kinderimpfstoffe von BioNTech/Pfizer für Kinder ab fünf Jahren empfohlen. Die Dosis für die zwei vorgesehenen Injektionen ist auf ein Drittel der Erwachsenenmenge reduziert.
In den Studien mit den Ergebnissen von mehr als 2200 kleinen Probanden in mehreren Ländern wurde eine mehr als neunzigprozentige Wirksamkeit festgestellt – ganz ähnlich den Erwachsenen. Das Nebenwirkungsprofil ist sogar etwas günstiger, vor allem kurzzeitige Schmerzen an der Impfstelle, Rötungen und in weniger als einem von zwanzig Fällen trat Fieber beziehungsweise Schüttelfrost auf. Über die bei der Jugendimpfung ermittelten Risiken einer seltenen – behandelbaren – Herzmuskelentzündung, insbesondere bei Jungen, ließen sich wegen der geringen Studiengröße keine klaren Aussagen treffen.
Bei der europäischen Behörde liegen bereits die Zulassungsanträge von BioNTech/Pfizer und dem amerikanischen Hersteller Moderna. Erwartet wird eine Entscheidung möglicherweise schon in der kommenden Woche. Ein Impfstoff für Kinder unter fünf Jahren ist noch nicht fertig entwickelt. Was das allerdings für den Zeitpunkt von Kinderimpfkampagnen in Deutschland heißt, ist noch unklar. Der amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwartet, dass mit der Impfung der etwas mehr als fünf Millionen Kinder der Altersgruppe „noch vor Weihnachten“ begonnen wird. Über die Lieferung der ersten zweieinhalb Millionen Dosen Kinder-Vakzine von BioNTech/Pfizer wird derzeit mit anderen Ländern verhandelt.
STIKO wägt sorgsam ab
Die STIKO hat schon vor ihrer Empfehlung der Jugendlichenimpfung erkennen lassen, dass sie die sehr geringen Risiken einer schweren Covid-Erkrankung von Kindern gegen die ebenfalls sehr niedrigen Risiken von Impfnebenwirkungen besonders sorgfältig und den hiesigen Risikofaktoren entsprechend auch unter Umständen anders abwägen wolle als etwa die amerikanischen Gesundheitsbehörden. Israel kündigte Anfang der Woche an, nun auch Kinder ab fünf Jahren zu impfen.Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen.Externe Inhalte aktivieren
Bei der Abwägung von Nutzen und Risiken der Kinderimpfung und der Gegenüberstellung mit den Risiken einer Covid-19-Erkrankung sind Wissenschaftler generell gespaltener als bei der Erwachsenenimpfung. Das liegt daran, dass in den ersten drei Wellen nur ein geringer Teil der unter 12-Jährigen – weniger als zwei Prozent derer, die überhaupt durch Covid-19-Symptome auffällig werden – im Krankenhaus behandelt wurde und ein noch sehr viel geringerer Teil auf der Intensivstation landete. Dennoch gibt es insbesondere zwei Covid-19-Folgen, die im Hinblick auf den Gesundheitsschutz der Kinder für eine Impfung sprechen: das Pädiatrische Multisystem-Entzündungssyndrom (PIMS), das wenige Wochen nach der akuten Infektion bei Jugendlichen gehäuft festgestellt wurde.
Die große Unbekannte Long-Covid
Eine große Unbekannte ist zudem Long-Covid, sprich: die häufig mit wochen- bis monatelanger Kurzatmigkeit, Gliederschmerzen, extremer Ermüdung und neurologischen Defekten verbundene Folgeerkrankung. Wie hoch die Risiken sind, lässt sich nach den bisherigen epidemiologischen Daten weltweit noch nicht genau sagen, es kann zumindest nach einer durchgemachten Covid-Erkrankung ebenso auftreten wie bei Erwachsenen. Viele Mediziner argumentieren zudem, dass auch andere Kinderimpfungen keineswegs nur bei todbringenden Infektionen empfohlen werden.
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- LUCIA SCHMIDT
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In einer kritischen Übersichtsstudie haben Schweizer Forscher um Petra Zimmermann von der Universität Fribourg jüngst die Pros und Contras – sowie die vielen Unbekannten in der Abwägung – aufgeschlüsselt. Ihr Fazit: Die Impfung der unter 12-Jährigen könne „globaler Standard“ werden, derzeit jedoch müsse noch genauer abgewogen werden in den einzelnen Altersgruppen. Gleichzeitig plädieren etwa chinesische Forscher dafür, dass gerade in der Delta-Welle und bei möglicherweise noch aggressiveren Virenvarianten die Kinderimpfung helfen könne, die Pandemie einzudämmen. Derzeit liegen die Kinder-Inzidenzen in Deutschland vielerorts bei mehr als 500.Um externe Inhalte anzuzeigen, ist Ihre widerrufliche Zustimmung nötig. Dabei können personenbezogene Daten von Drittplattformen (ggf. USA) verarbeitet werden. Weitere Informationen.Externe Inhalte aktivieren
Quelle: F.A.Z.